Ein Blick in den Spiegel
Jesus wirft uns immer wieder auf uns selbst zurück, ist mit keinen Halbheiten zufrieden. Er fragt: wie steht es mit dir? So ein Jesus-Wort steht im Lukas-Evangelium, Kapitel 13: «Tretet ein durch die enge Tür, denn viele werden danach streben einzutreten, und wenige werden sie finden.» Oops, der sitzt.
Die langen, lichtvollen Sommertage sind vorbei und wir steuern den grossen Festtagen des Jahresendes zu: Erntedank, Reformationssonntag, Ewigkeitssonntag und Advent/Weihnachten. Zeit also, zur Rückbesinnung.
Die Bibel ist voller Einladungen Gott zu begegnen. Der Zöllner Zachäus (Lukas 19,1-10) zum Beispiel ist so neugierig auf Jesus, dass er auf einen Baum klettert, um einen Blick von ihm zu erhaschen. Jesus nimmt sich darauf alle Zeit, bei Zachäus zu Gast zu sein und bewirkt so wunderbares. Wenn wir einen Schritt auf Gott zugehen, kommt ER uns viele Schritte entgegen. Was soll das also mit dieser engen Tür?
Persönlich habe ich Jesus immer als sehr, sehr liebevoll und sehr klar wahrgenommen. Allgemeinplätze und sinnentleerte Traditionen lenken nur vom Wesentlichen ab. Wie steht es mit dir? ist die Frage. Haben wir eine eigene Glaubens- und Seelensprache? Gott hat uns allen etwas von sich mitgegeben, das wir nicht verlieren können, aber vielleicht entdecken nicht alle im Verlauf des Lebens, was in ihrem Innern als göttlicher Funke angelegt ist.
Die Seele hat ihre eigene Sprache, ihre eigenen Werte und ihren eigenen Plan, was Gott mit uns vorhat. Oft hat das nicht viel mit dem zu tun, was wir selbst in der Aussenwelt alles erreichen wollen, oder was uns so enorm wichtig erscheint. Ich gehe davon aus, dass Jesus heute keinen Wert darauf legen würde, welches Auto wir fahren und wer welche Karriere macht. Es geht um unsere innere Entwicklung als spiritueller Mensch.
Im alltäglichen Leben stehen wir manchmal auch vor engen Türen, wenn es darum geht herausfordernde Situationen zu meistern. Was muss ich loslassen und ändern, damit ich da den Durchgang schaffe? Manchmal sind es falsche Sicherheiten, falsche Ideale, Stolz oder Status, die uns die Sicht versperren. Meistens ist der grösste Stolperstein das Bild von uns selbst. Der liebevolle und nüchterne Blick auf uns selbst ist gefragt. Bei sich selbst genau hinzuschauen braucht viel Mut, wenn die bisherigen Geschichten über uns selbst ins Wanken geraten. Wenn wir da Ballast abwerfen, könnten wir plötzlich durch die enge Tür passen.
Wo soll die Türe hinführen, die Jesus uns auffordert zu durchschreiten?
Sie führt uns in einen neuen Erkenntnisraum, ein paar Schritte in das Reich Gottes und zunehmend in die Selbstverantwortung für unsere Seele. Jesus begleitet uns, hilft uns, führt uns, aber den Weg müssen wir selbst gehen.
Jesus ist für uns ein Türöffner. Nach einer langen Zeit der Vergessenheit hat er uns an das Reich Gottes, an diesen Bewusstseinsraum erinnert und Wege dorthin gezeigt. Bei vielen Menschen ist der Funken übergesprungen, aber ich denke, Jesus war am Schluss auch ein wenig frustriert, dass sein ganzes Weibeln, Locken und Vorzeigen am Schluss nur bei wenigen Menschen wirklich Frucht getragen hat. Die Gelegenheit das ganz grosse Göttliche im Hintergrund selbst zu erfahren ist immer noch offen, gerade in der kommenden Zeit, in der sich das Leben wieder mehr nach innen kehrt.
Kaspar Schweizer, Pfarrer
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